Wenn die Emotionen überkochen – Konfliktfreie Nachfolge ermöglichen
Von einer Unternehmensnachfolge sind viele unterschiedliche Personen betroffen – von dem Senior-Unternehmer über das bestehende Team und den Kundenstamm bis hin zu Ihnen als Nachfolger natürlich. Wie regeln Sie die Übergabe möglichst konfliktfrei? Und ab wann sollten Sie eine Mediation in Erwägung ziehen, damit die Situation nicht eskaliert?
Kirstin Nickelsen ist Wirtschaftsmediatorin und Business-Coach und unterstützt in ihrem Berufsalltag Team- und Projektkonflikte in allen Varianten, oft bei der Übergabe von Unternehmen an die Nachfolger. Wir haben ihr die wichtigsten Fragen gestellt, damit Ihre Übergabe so harmonisch wie möglich vonstattengehen kann – inklusive Do’s und Dont’s der Expertin für Sie als Nachfolger!
Frau Nickelsen, Sie haben schon oft den Nachfolgeprozess von Unternehmen begleitet. Gibt es bei Unternehmensnachfolgen ein erhöhtes Konfliktpotenzial?
„Ja, das Konfliktpotenzial bei Übernahmen ist besonders groß, da es oft unterschiedliche Sichtweisen von Vorgänger und Nachfolger gibt, die sich erst nach Vertragsunterzeichnung zeigen – und die wenig bis gar nicht kommuniziert werden. Auch die beteiligten Mitarbeiter haben Angst, Führungskräfte können sich überfordert fühlen.
Das ist auf der einen Seite emotional und gruppendynamisch eine große Herausforderung, auf der anderen Seite natürlich formal und organisatorisch ebenfalls ein Feld, das Raum für sehr viele Konflikte schafft.“
Müssen diese Emotionen also zunächst aufgedeckt werden?
„Ja, denn bei jeder Übernahme und bei jedem Konflikt sind Emotionen im Spiel. Emotionen begleiten einen Menschen 24 Stunden am Tag. Sie können natürlich kommuniziert werden, was aber oft nicht geschieht, da die Beteiligten sich selbst darüber nicht schlüssig sind. Dies ist besonders bei Unternehmensnachfolgen innerhalb der eigenen Familie ein Thema, wo es auf der einen Seite um den Unternehmensprozess geht, auf der anderen Seite aber auch um die meist eingefahrenen Rollen im Familiensystem. Da werden also zwei Baustellen bearbeitet, die theoretisch nicht vermischt werden sollten. Praktisch ist das in den meisten Fällen aber nicht möglich. Es geht daher weniger darum, Emotionen nicht zu haben, sondern mit ihnen richtig umzugehen und sie im besten Fall zu kommunizieren – direkt oder indirekt mit einer Vertrauensperson oder externer Begleitung.“
Welche Emotionen löst die Unternehmensnachfolge aus?
„Angst und Trauer sind große Begleiter. Der Vorgänger befürchtet, dass das Unternehmen ohne ihn nicht existieren kann. Der Nachfolger muss und soll sich bewähren, bekommt aber keine Gelegenheit, wenn der Vorgänger nicht loslassen kann. Die Ambivalenz der Gefühle, besonders bei Übernahmen in der Familie, ist in der Rollenverteilung zu sehen: Spricht der Vater zu seiner Tochter oder der Vorgänger zu seinem Nachfolger?“
Was sollte man Ihrer Meinung nach unbedingt beachten, wenn es Konfliktpotenzial gibt?
„Jeder greift in so einem Fall zur individuellen Konfliktvermeidungsstrategie, die aber meistens dafür sorgt, dass die Situation sich noch mehr zuspitzt. Gerade Menschen, denen Harmonie ein wichtiges Bedürfnis ist, wünschen sich, dass ein Konflikt gar nicht erst entsteht. Ab einem gewissen Punkt steigen sie in Diskussionen aus: meist dann, wenn es wirklich spannend wird, nämlich wenn es um Unterschiede und Diskrepanzen geht. Doch ausgerechnet dieses Verhalten trägt dazu bei, dass der Konflikt nicht geklärt und somit bis zur nächsten Situation nur noch verstärkt wird. Sie legen mit ihrem Harmoniebedürfnis einen „Deckel auf den Topf mit dem heißen Wasser“ und hoffen, das Wasser würde abkühlen. Auf Dauer gelingt dies wirklich selten.“
So verhalten Sie sich als Nachfolger richtig
Do’s – Beugen Sie einer Eskalation vor
Gelassenheit:
„Vielleicht haben Sie als Nachfolger oft das Gefühl, wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Das muss gar nicht falsch sein, denn der Vorgänger möchte nur das Beste und neigt womöglich dazu, Sie in Watte zu packen und die Lösungen einzuflüstern. Bleiben Sie trotzdem gelassen, wann immer es möglich ist.“
Klare Vereinbarungen und Transparenz:
„Stellen Sie gemeinsam Regeln auf, damit alle Beteiligten sich sicherer durch die Unternehmensnachfolge lenken können. Klare Formulierungen, das Ansprechen statt Unterdrücken offener Punkte und Transparenz sind gefragt, nicht nur in den einzelnen Schritten des Prozesses, sondern ganz besonders auch bei Ängsten, Sorgen, Befürchtungen. Denn auch die Mitarbeiter werden sehr genau beobachten, wie die Übernahme läuft. Diese sollten also früh informiert und eingebunden werden.“
Kommunikation:
„Mit ihr steht und fällt der gesamte Prozess. Was sich leicht liest, ist oft schwierig umgesetzt. Unterschiedliche Werte, Prioritäten und Sichtweisen sind auf den ersten Blick nicht immer sichtbar, sorgen aber im Übergabeprozess immer wieder für Konflikte. Die Vermischung unterschiedlicher Rollen (Elternteil/Vorgänger vs. Kind/Nachfolger) sorgt hier für extra Zündstoff. Je klarer, offener und vertrauensvoller miteinander kommuniziert wird, desto besser läuft der Übergabeprozess. Das heißt nicht, dass es keine Konflikte gibt, aber der Umgang mit ihnen ist ein besserer.“
Das eigene Verhalten reflektieren:
„In den meisten Fällen sind es Ängste, die Menschen daran hindern, dem Konflikt aktiv zu begegnen, schlechte Erfahrungen aus früheren Situationen werden gerne als Referenz herangezogen. Wann sprechen Sie Konflikte nicht an, wann gehen Sie ihnen aus dem Weg? Was ist der Grund dafür?“
Konflikte so schnell wie möglich klären:
„Je schneller Sie ein Missverständnis oder einen Konflikt klären, desto zügiger werden Sie die Situation lösen. Je länger Sie warten, desto schwieriger und länger dauert die Klärung. Die kleine, an Ihrer Tür klopfende Streitsituation will nicht mehr als Ihre Aufmerksamkeit. Geben Sie diese in Form eines Klärungsgespräches, ist die Angelegenheit meistens schnell gelöst.“
Dont’s – Das sind die häufigsten Fehler bei der Übergabe
Passivität:
„Nichts wird sich von allein klären oder lösen. Sie müssen präsent und wachsam sein und Konflikte gegebenenfalls zügig lösen.“
Jeder für sich:
„Wer glaubt, dass es ausreicht, wenn
der eine seine Aufgaben abgibt, der andere die Arbeit aufnimmt, irrt. Wenn Sie davon ausgehen, wird Ihnen das teuer zu stehen kommen.“
Mitarbeiter ausschließen:
„Mitarbeiter sind das höchstes Gut, der Kern des Unternehmens. Glauben Sie also bitte nicht, dass es reicht, sie am Ende vor vollendete Tatsachen zu setzen. Im Umkehrschluss heißt dies aber nicht, dass Ihre Mitarbeiter alles wissen sollten, auch dies wäre ein Irrtum.“
Gefühle ignorieren:
„Vielleicht sind Sie versucht, zu glauben, dass weder Sie noch der Vorgänger Gefühle mit ins Spiel bringen. Seien Sie sic
her, dass sie auftauchen und nicht immer nur angenehm sind. Seien Sie darauf vorbereitet, besonders wenn Sie der Meinung sind, alle Emotionen im Griff zu haben.“
Keinen Plan haben:
„Wer planlos die Unternehmensführung durchführen möchte, der wird niemals sicher sein Ziel erreichen. Definieren Sie Start, Zwischenstopps und Ziel so genau wie möglich. Es wird sowieso ausreichend Abweichungen geben, seien Sie sicher!“
Selbst wenn Sie im Vorfeld schon mögliche Konfliktherde identifiziert haben, werden sich während der Nachfolge viele neue Situationen ergeben. Doch es lohnt sich, kühlen Kopf zu bewahren und die Themen frühzeitig gemeinsam mit allen Beteiligten anzugehen.