[Video] Die Königsdisziplin der Führung: Führen auf Distanz oder Führen von virtuellen Teams
Arbeiten wann und von wo wir wollen: Lokale, kulturelle und zeitliche Distanzen überbrücken, eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen und Wissen teilen – das schaffen wir heute dank der digitalen Möglichkeiten. Aber wie geht es am besten – was gilt es zu beachten?
Die digitale Zusammenarbeit hat gerade jetzt durch den Virus eine neue Bedeutung erhalten. Selbst Unternehmen, die mit virtueller Führung noch nicht viel am Hut hatten, sind von heute auf morgen gezwungen, Homeoffice, auch „remote arbeiten“ genannt, einzuführen oder auszubauen. Allerdings erfordert die über digitale Medien koordinierte Zusammenarbeit nicht nur ein Umdenken bei Führungskräften und Mitarbeitern, sondern auch einen ganz anderen Führungsstil. Denn vorbei die Zeiten, in welchen der Chef um die Ecke schauen konnte, ob der Mitarbeiter noch fleißig engagiert am Schreibtisch saß, wenn er selbst nach Hause ging. Die Königsdisziplin der Führung – „Führen auf Distanz und Führen von virtuellen Teams“ – erhält einen neuen Stellenwert.
Was auf den ersten Blick unsere Zusammenarbeit locker und flexibel erscheinen lässt, da steckt der Teufel im Detail. Zwar bieten uns die digitalen Möglichkeiten hier viele wunderbare Tools und Lösungen an: von Microsoft Teams über Trello und Skype, Zoom, ClickMeeting und Adobe Connect Meetings, um nur einige zu nennen, und ermöglichen uns überhaupt eine Zusammenarbeit – trotz fehlendem „Händchenhalten“. Doch diese Form der Zusammenarbeit birgt großes Konfliktpotential, wenn man sich der Schwachstellen nicht bewusst ist und keine Regeln aufgestellt werden.
Führen auf Distanz versus Führen von virtuellen Teams – was ist der Unterschied?
Führen auf Distanz
Beim Ersteren sprechen wir davon, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin bisher komplett im Büro gearbeitet hat und beispielsweise freitags künftig von zuhause arbeiten möchte. Es ist die einfachere Variante der virtuellen Führung. Da hier der persönliche Kontakt überwiegend aufrecht erhalten wird und nur zeitlich eingeschränkt virtuelle Führung bzw. Führung auf Distanz erfolgt. Sollten Missverständnisse in der Kommunikation auftreten, könnten diese einfach und schnell in der Folgewoche aus dem Weg geschafft werden. Wir erkennen an der persönlichen Kommunikation, der Körperhaltung, des Verhaltens der Person, ob „alles nach wie vor im Reinen ist“. Erscheint das nicht so, kann ich in einem persönlichen Gespräch besser herausfinden, wo eine Unstimmigkeit vorliegt.
Führen von virtuellen Teams
Beim Führen von virtuellen Teams, ist die Situation eine komplett andere. Wie der Name bereits sagt, sitzt mein Team nicht physisch am Standort: Es ist regional oder gar weltweit verstreut. Der persönliche Kontakt, falls überhaupt möglich, stark eingeschränkt. „Virtuell“ bedeutet künstlich oder nicht greifbar. Zwar kommt die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „virtuell“ aus dem lateinischen und heißt „tüchtig“, aber hier streiten sich die Geister – zumindest vor der Krise -, denn für viele Entscheider stellt gerade das die größte Hürde dar und ihn oder sie plagen häufig Fragen wie: Wenn der Mitarbeiter nicht vor Ort ist, was macht er oder sie dann gerade? Wenn ich sie oder ihn nicht umgehend telefonisch erreiche, plaudert er gerade mit dem Nachbar? Unsere Führungskultur in der Vergangenheit war stark auf Kontrolle ausgerichtet und so ist das Gros der Führungskräfte konditioniert. Das „Loslassen“ und das Team nach Ergebnissen, statt nach Anwesenheit zu bewerten, erfordert ein Umdenken.
Auf der einen Seite liegen die Vorteile auf der Hand: Wir lernen von anderen Kollegen im Projekt konstant hinzu, menschliche Ressourcen werden effektiv eingesetzt, es muss nicht in der gleichen Region nach geeigneten Personen für besondere Arbeitsbereiche gesucht werden. Insbesondere für Unternehmen in Randlagen ist dies ein deutlicher Rekrutierungsvorteil. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass eine Arbeitsgruppe noch lange kein Team darstellt. Die Unterschiede sind gravierend: Ein Team arbeitet i.d.R. deutlich effizienter und teilt einheitliche Werte, hat ein gleiches Verständnis für die gelebte Arbeitskultur und im Selbstverständnis als Arbeitseinheit.
Das Erfolgsgeheimnis von erfolgreichen Teams
Google hat 2012 bereits im Projekt Aristotle herausgefunden, dass die Teams am erfolgreichsten agieren, unter denen psychologische Sicherheit herrscht. Diese wird erreicht durch eine offene und transparente Kommunikation, eine klare Rollenverteilung gemäß der Talente des Einzelnen, den Sinn des jeweiligen Einsatzes sowie eine entsprechend etablierte Feedbackkultur. Das einzelne Mitglied fühlt sich im Team aufgehobener, es identifiziert sich stärker mit der gestellten Aufgabe und den Kollegen. Hintergrund ist, dass Teammitglieder in Entscheidungen stärker einbezogen werden, da sie als Team Ziele gestellt bekommen, die sie gemeinsam erreichen wollen. Jeder Einzelne wird ermutigt, seine Fähigkeiten einzusetzen und weiter zu entwickeln, während in Gruppen üblicherweise viel größere Zurückhaltung geübt wird und Verständnis für die Kollegen nicht automatisch gegeben ist.
Das Führen von Menschen ist Beziehungsarbeit
Ein ganz kurzer Blick dazu nochmal auf die Führung selbst. Das Führen von Menschen ist Beziehungsarbeit und setzt einen vertrauensvollen Umgang und eine wertschätzende Kommunikation voraus. Gehen wir mal davon aus, dass Führung per se schon für viele eine große Herausforderung darstellt, da die Führungskräfte über immer weniger Zeit verfügen, die jedoch für die Beziehungsebene unerlässlich ist. Wenn ich auch mit virtuellen Teams Topergebnisse erhalten möchte und Menschen weiterentwickeln möchte, muss ich es heute als Entscheider ermöglichen, digital tragfähige Beziehungen aufzubauen.
Manko Informationsverlust beim virtuellen Führen
So wird umgehend das Manko beim Führen auf Distanz oder Führen von virtuellen Teams offensichtlich. Bei der persönlichen Interaktion mit Menschen stehen uns weitaus mehr Informationen oder „Signale“ zur Verfügung, die uns die Aussagen, Meinungen und Entscheidungen von anderen – nennen wir es mal klarer „validieren“ lassen. Das fehlt weitestgehend in der digitalen Kommunikation via WhatsApp oder Mail. Klar haben wir bei Skype- oder Zoomkonferenzen das Gegenüber vor Augen. Aber selbst hier gehen uns je nach technischer Voraussetzung beispielsweise mikromimische Bewegungen und Gesten verloren, falls der Bildmodus überhaupt eingeschaltet ist. Oder nehmen wir mal nur die fehlende Nuancierung oder Tonalität in der Mail – und WhatsApp-Kommunikation, die ihr übriges tut und uns das Geschriebene ganz anders deuten lässt.
Nochmal zusammengefasst:
Damit ein Team auch virtuell erfolgreich geführt wird oder Führen auf Distanz gelingt, bedingt es:
- Technisch guten Voraussetzungen in der Hardware als auch im Handling bei den Beteiligten
- Gemeinsam aufgestellten Regeln (z. B. bei Missverständnissen direkt durchkommen, wann setzt man Besprechungen an, die je nach Land oder persönlichen Präferenzen wie z. B. die Kinder in die Kita zu bringen, anders liegen können usw.)
- Einer vertrauensvollen und offenen Kommunikation
- Einem klaren Rollenverständnis
- Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit der Aussagen
- Loslassen der Kontrolle durch den Chef bzw. Vertrauensvorschuss durch denselben
Der „neue Job“ der Führungskraft – und die Chance für Nachfolger
Die Führungskraft sollte ihre Rolle eher als Gastgeber verstehen, sozusagen als Moderator, der die Talente virtuell motiviert und koordinierend zum Ziel führt. Hier sehe ich große Chancen für Unternehmenslenker der Nachfolgegenerationen, z.B. bei der Unternehmensnachfolge, die sich nicht durch Altlasten gestört oder trainiert mit einem frischen Blick und neu denkend diesem Führungsstil widmen können. Führen von virtuellen Teams gehört zum „state of the art“ im digitalen Wandel und bietet nicht nur bessere Rekrutierungsmöglichkeiten und mehr Flexibilität für alle, sondern setzt ein deutliches Signal, dass das Unternehmen offen für neue Arbeitsmodelle ist und die Bedürfnisse der Mitarbeiter in den Fokus setzt.
Foto Credit © Barbara Liebermeister