Unbegrenzter Urlaub: Fluch oder Segen für HR und Mitarbeiter?
Unbegrenzter Urlaub – ist dieser Trend aus der Startup- und Tech-Szene zu schön, um wahr zu sein? Ja und nein. Wir klären über die Vor- und Nachteile auf und fassen zusammen, was HR und Führungskräfte bei der Einführung beachten sollten.
Unbegrenzter Urlaub klingt verlockend, oder? Mitarbeiter dürfen so viel Urlaub machen, wie sie möchten, solange sie ihre Arbeit erledigen und ihren Zielen gerecht werden. Das soll sich positiv auf ihre Work-Life-Balance auswirken, die Zufriedenheit und Produktivität erhöhen – und außerdem Top-Talente im Fachkräftemangel anziehen. Große Player wie der Streaming-Dienst Netflix, aber auch kleinere Unternehmen wie die Hamburger Kreativagentur elbdudler machen es bereits vor.
Zu schön, um wahr zu sein? Ein bisschen schon. Denn in der Realität stellen die Effekte dieser Regelung manchmal das Gegenteil von dem dar, was sich die Unternehmen erhoffen: nämlich Überlastung, Unsicherheit und ein schlechtes Gefühl bei den Arbeitnehmern. Worauf können HR-Fachkräfte achten, um das zu verhindern?
Mit Vertrauen und Verantwortung zum flexiblen Urlaubsmodell
Unbegrenzter Urlaub, auch bekannt als „Vertrauensurlaub“ oder „unlimited vacation“, ist eine Urlaubsregelung, bei der Arbeitnehmer so viel Urlaub nehmen können, wie sie möchten, ohne dass es eine feste Anzahl von Tagen gibt. Die Idee hinter dem Modell ist, dass Mitarbeiter das Vertrauen und die Verantwortung haben, ihre eigenen Freizeitentscheidungen zu treffen, solange sie ihre Arbeit erledigen und ihre Leistungsziele erreichen. Das entspricht einer ziel- statt zeitorientierten Arbeitskultur – und passt somit eigentlich wunderbar in die Ära von New Work, Digitalisierung und Flexibilisierung. Aber was ist wirklich dran an dem Trend – wo liegen die Vor- und Nachteile?
Wertvoller Benefit für Mitarbeiter und Bewerber
In der Theorie können Angestellte mit Urlaub ohne Limit sich besser erholen, motivierter zurückkehren und letztendlich produktiver arbeiten. Als wertvoller Benefit kann unbegrenzter Urlaub außerdem dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter langfristig binden und im Fachkräftemangel Top-Talente anziehen. Denn wer möchte nicht für einen Arbeitgeber tätig sein, der ihm die Freiheit und das Vertrauen entgegenbringt, sich ohne Einschränkungen selbst zu organisieren? Außerdem bietet das Modell auch finanzielle Ersparnisse für Unternehmer: Das Gewähren des Urlaubs läuft ohne Antrag und somit deutlich unkomplizierter ab, was Personalkosten spart. Außerdem müssen sie dann keinen Resturlaub mehr auszahlen.
Zu viel des Guten: Wenn Freiheit zum Stressfaktor wird
Dennoch besteht die Gefahr, dass die Regelung ins Gegenteil umschlägt: nämlich, wenn keine klare Kommunikation erfolgt oder das Modell gar nicht in die Unternehmenskultur passt. Dann kann es passieren, dass die gewonnene Freiheit eher Druck bei den Angestellten auslöst: Bei jedem Urlaub haben sie das Gefühl, ihre Kollegen im Stich zu lassen oder die Regelung auszunutzen, während andere womöglich fast gar nicht mehr frei nehmen, um ihren Fleiß und Ehrgeiz der Führung gegenüber zu beweisen. Tatsächlich ist dieses Risiko sogar höher als das des Missbrauchs des Modells: Eine Studie zeigt, dass Mitarbeiter mit unbegrenztem Urlaub im Schnitt weniger Tage frei nehmen als Mitarbeiter, die eine feste Tagesanzahl zur Verfügung haben.
Führungskräfte nehmen auch im Urlaub eine Vorbildfunktion ein
Damit das nicht passiert, ist es nötig, die Regelung in klarer, ausführlicher Absprache mit allen einzuführen und die gesamte Belegschaft zu sensibilisieren. Hier nehmen in erster Linie Führungskräfte eine entscheidende Vorbildfunktion ein: Nur wenn sie sich selbst ausreichend Erholung gönnen und im Urlaub auch mal nicht erreichbar sind, ziehen die Mitarbeiter ohne schlechtes Gewissen nach. Unbegrenzter Urlaub sollte auf keinen Fall dem Hintergedanken folgen, dass die eigenen Mitarbeiter dann in einen Wettkampf miteinander gehen, wer am meisten arbeitet und am wenigsten Urlaub braucht, um vor ihren Vorgesetzten einen guten Eindruck zu machen. Denn auch in einer immer flexibleren, agilen Arbeitskultur gilt: Urlaub bleibt Urlaub – selbst wenn die Grenzen zwischen „Work“ und „Life“ zunehmend verschwimmen.
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Compliance Check: Was ist beim unbegrenzten Urlaub zu beachten?
Arbeitsrechtlich spricht zunächst nichts gegen den unbegrenzten Urlaub: Im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ist lediglich eine Mindest- und keine Höchstanzahl für Urlaubstage verankert. Diese ist aber trotzdem unbedingt einzuhalten – und die Verantwortung dafür liegt beim Arbeitgeber. Unternehmen müssen also aktiv darauf achten, dass ihre Mitarbeiter auch bei einer flexiblen Regelung mindestens 20 Tage bei einer Fünf-Tage-Woche Urlaub nehmen. Zudem ist es wichtig, den unbegrenzten Urlaub im Arbeitsvertrag zu berücksichtigen und zum Beispiel für die Kündigungsfrist eigene Regeln aufzustellen – sonst kann ein Mitarbeiter bei seinem Ausscheiden theoretisch die ganze verbleibende Zeit der Frist frei nehmen.
Fazit: Auch flexibler Urlaub will gut geregelt sein
Ganz so grenzenlos ist das Modell dann also doch nicht: Wie bei jeder neuen, noch so flexiblen Regelung, sind klare Regeln für das gesamte Unternehmen von Vorteil. Vertrauen in die Mitarbeiter ist dabei unerlässlich, um eine Unternehmenskultur aufzubauen, die auf Eigenverantwortung und Motivation basiert. Darüber hinaus lohnt es sich, Ressourcen und Unterstützung für die Urlaubsplanung bereitzustellen, um Unsicherheiten zu minimieren. Ob das Modell letztendlich in den Betrieb passt, können die HR-Fachkräfte am besten entscheiden. Womöglich ist stattdessen auch die 4-Tage-Woche eine interessante Alternative, um den Mitarbeitern bessere Möglichkeiten der Work-Life-Balance zu bieten. Fest steht: Mit einer offenen, vertrauensvollen Unternehmenskultur und der richtigen Herangehensweise können moderne Modelle wie das des unbegrenzten Urlaubs auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) zu mehr Attraktivität als Arbeitgeber und einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit führen – und müssen demnach nicht nur Trends in der Startup-Szene oder am Silikon Valley bleiben.
Häufig gestellte Fragen
Was ist unbegrenzter Urlaub?
Unbegrenzter Urlaub heißt, dass die Mitarbeitenden unbegrenzt bezahlten Urlaub nehmen können, egal aus welchem Grund. Es gibt keine jährliche Obergrenze, und ungenutzte Urlaubstage werden am Ende des Jahres nicht verrechnet.
Wie funktioniert unbegrenzter Urlaub?
Kann man mehr als 30 Tage Urlaub nehmen?
26 bis 30 Urlaubstage sind die Norm in Deutschland. Fast 70 Prozent gaben diesen Wert an. Knapp vier Prozent genießen nur den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen. Ungefähr gleich viele Menschen (rund fünf Prozent) haben mehr als 36 Tage Urlaub im Jahr.
Welche Unternehmen bieten unbegrenzten Urlaub an?
Netflix, LinkedIn, Zoom, Bitpanda und Twitter sind nur einige der großen Firmen, die mit unbegrenztem Urlaub. Ist unbegrenzter Urlaub wirklich ein guter Mitarbeiter-Benefit, dient es zur Mitarbeitermotivation oder ist es ein geschickter Zug im Kampf um die Fachkräfte?
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